
Schlamm und Schnee bei Drei Annen Hohne

Schlamm und Schnee bei Drei Annen Hohne .de
Rappbodetalsperre, 60 km, 900 Höhenmeter

Der Wald weint, mein Herz lacht – warum der Harz mich trotzdem glücklich macht
Der Harz – mein Sehnsuchtsort. Ja, ich gebe es zu: Ich liebe diesen wilden, widersprüchlichen Landstrich, der sich irgendwo zwischen Naturparadies und Klimadrama einpendelt. Wenn ich durch die kahlen, vom Borkenkäfer zerfressenen Hänge radle, weht da immer ein Hauch von Melancholie mit. Die endlosen Reihen grauer Baumstümpfe, die sich wie Mahnmale in den Himmel recken, tun weh. Und doch – oder gerade deshalb – atme ich hier auf. Vielleicht ist es dieses Unperfekte, das mich so berührt. Die stille Kraft, die trotz aller Wunden bleibt.
Drei Annen Hohne, ein kleiner Ort mit großem Namen
Zwei Stunden Autofahrt liegen vor mir, als ich am frühen Morgen losdüse. Noch vor dem ersten Kaffee spüre ich: Heute wird besonders. Die Straßen werden schmaler, die
Wälder dichter – und mein Kopf wird leerer. Jeder Kilometer bringt mich ein Stück näher zu mir selbst. Schon das Ankommen ist ein kleines Loslassen.
Die Wetter-App kündigte 15 Grad und Sonnenschein an. Was ich bekomme? 3 Grad, Schneeregen und später sogar Hagel. Willkommen im Harz. Ich lache – ehrlich. Natürlich ist das kein „ideales“ Wetter für eine lange Tour. Aber irgendwie ist es genau das, was ich gerade brauche. Natur pur, mit allem, was dazugehört.
Ich starte in Drei Annen Hohne, ein kleiner Ort mit großem Namen für Wanderer und Radfahrer. Es schneit. Leise, fast zärtlich. Meine Handschuhe? Liegen zu Hause. Super. Ich versuche, mir die Hände warm zu pusten, während ich das E-Bike vom Träger hieve. Vor mir liegen etwa 60 Kilometer mit 900 Höhenmetern – ein ambitioniertes Programm, besonders bei diesen Bedingungen. Aber ich bin voller Vorfreude. Die Strecke soll mich zur Rappbodetalsperre führen, einen Abstecher nach Thale inkludieren und dann wieder zurück zum Ausgangspunkt führen.
Eiskalte Finger, warme Gedanken
und ein Trail, der alles fordert
Die ersten Kilometer rollen gut. Der Schnee knirscht leise unter den Reifen, der Wald ist in ein dunstiges Weiß getaucht. Es wirkt fast magisch. Ein Bach schlängelt sich an meiner Seite entlang, zwitschert mir ein Lied aus Kindertagen. Die Vögel scheinen sich heute aus dem Staub gemacht zu haben – kein Wunder. Trotzdem ist da dieses wohltuende Gefühl von Einsamkeit. Ich bin allein – aber nie einsam.
Ein kleiner Wasserfall lädt zur ersten Pause ein. Ich atme tief durch, mache ein paar Fotos. Die Sonne kämpft sich kurz durch die Wolkendecke. Für einen Moment glitzert alles – Schnee, Wasser, mein Atem. So könnte es bleiben. Aber das Abenteuer klopft schon an.
Je weiter ich fahre, desto rauer wird der Weg. Der Schnee weicht matschigem Boden, Pfützen lauern hinter jeder Kurve. Baumstämme versperren mir den Pfad, Äste hängen tief. Ich schiebe, klettere, fluche – und lache gleichzeitig. Drei Mal liege ich mit dem Rad im Dreck. Meine Kleidung ist jetzt mehr braun als bunt. Der Plan, nach der Tour irgendwo nett einzukehren? Gestrichen. Ich sehe aus wie nach einer Mischung aus Tough Mudder und Waldbad.
Dann kommen die ersten Tragepassagen. Das E-Bike wiegt gefühlt eine Tonne. Jeder Schritt ist ein Balanceakt zwischen Stolz und Stöhnen. Ich rutsche über schlammige Hänge, wuchte das Rad über umgestürzte Bäume. Ich fluche auf eine Art, die Kinderohren nicht hören sollten – aber in mir brodelt ein tiefes Glück. Es ist echt. Keine Instagram-Kulisse, kein gestelltes Abenteuer. Einfach nur ich, mein Rad und der Harz in seiner rohen Schönheit.
Ich treffe kaum Menschen. Eine ältere Wanderin nickt mir anerkennend zu, als ich mein Rad bergauf schiebe. „Respekt“, murmelt sie und verschwindet zwischen den Bäumen. Ich lächle. Diese kleinen Begegnungen – sie wärmen.
Nach etwa 30 Kilometern bin ich an der Rappbodetalsperre. Der Blick ist atemberaubend. Der riesige Stausee liegt wie ein dunkler Spiegel unter mir, eingerahmt von schneebedeckten Bergen. Im Hintergrund erkenne ich den Wurmberg – sein weißer Gipfel leuchtet fast unwirklich. Ich setze mich auf eine Bank, trinke einen Schluck heißen Tee aus der Thermosflasche (den ich mir heute früh noch in letzter Minute eingepackt habe – danke, innere Stimme!). Und dann bin ich einfach nur still. Dieser Moment gehört mir.
Der Rückweg ist eine Mischung aus Anstrengung und Achtsamkeit. Meine Beine sind schwer, der Akku des Bikes neigt sich dem Ende zu – und trotzdem fühle ich mich leicht. Jeder Anstieg ist eine kleine Prüfung. Ich muss absteigen, schieben, mich motivieren. 10 Prozent Steigung mit leerem Akku? Das ist nicht lustig. Aber ich schaffe es. Schritt für Schritt. Pedalumdrehung für Pedalumdrehung.
Ich denke viel nach auf diesen letzten Kilometern. Über das, was mich antreibt. Was mich bremst. Wie gut es tut, sich manchmal richtig zu fordern. Und wie befreiend es ist, wenn man merkt, dass man mehr kann, als man dachte.
Glücklich und zufrieden zurück
Zurück am Auto bin ich durchnässt, durchgefroren, durchgeschwitzt – und durch und durch glücklich. Ich ziehe mich um, werfe mich in trockene Sachen, trinke den letzten Rest Tee. Der Muskelkater für morgen ist schon programmiert – aber das ist okay. Ich habe heute etwas erlebt, was in keinem Reiseführer steht. Etwas, das bleibt.
Harz, du Wildes Ding – ich komme wieder. Versprochen.
Ich liebe Touren wie diese. Die, die man nicht planen kann. Die, die unperfekt sind – aber echt. Wo nichts glatt läuft und trotzdem (oder gerade deswegen) alles Sinn macht. Ich komme wieder, lieber Harz. Vielleicht bei Sonne, vielleicht wieder bei Schnee. Ganz sicher mit Handschuhen. Und ganz bestimmt mit dem gleichen Grinsen im Gesicht 😊
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