Mein Weg auf dem Camino – eine Reise zu mir selbst 1

Manchmal braucht es einen Bruch im Alltag, um neu zu beginnen. Viele meiner Freunde hatten ihre kleine Lebenskrise schon erlebt – ich wollte nicht warten, bis mich dieselbe Welle erwischte. Also nahm ich mir eine Auszeit und machte mich auf den Jakobsweg. Ohne Vorbereitung, mit 14 Kilo unnötigem Ballast im Rucksack und keiner Ahnung, wo es langgeht. Was ich fand, war mehr als ein Weg: Es war eine Reise zu mir selbst.

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buen camino Teil 1

Spanien – 2006 – #00

Camino de Santiago – Teil 1: Der Aufbruch in die Krise

Ich erinnere mich noch gut an den Moment, als ich beschloss, mein Leben für eine Weile zu pausieren. Viele meiner Freunde hatten es schon hinter sich – diese kleine, aber tiefgreifende Lebenskrise. Manche hatten ihre Jobs hingeschmissen, andere ihre Beziehungen hinterfragt, wieder andere suchten ihren Sinn irgendwo zwischen Yoga-Kursen und Selbstfindungsseminaren. Ich dagegen dachte mir: Nein, ich will nicht einfach akzeptieren, dass man in so etwas hineinrutscht wie in schlechtes Wetter. Ich wollte es anders machen. Ich wollte meinen eigenen Weg finden.
Und so kam der Gedanke, der sich wie ein kleiner Funke in meinem Kopf entzündete und dann immer größer wurde: Ich gehe den Jakobsweg.

 

Die Entscheidung

Natürlich hörte sich das in meinem Kopf zunächst romantisch an: ein paar Wochen Auszeit, viel Natur, ein uralter Pilgerweg, auf dem schon Millionen Menschen vor mir gegangen sind. Alle sprachen von Spiritualität, von Begegnungen, die das Leben verändern, und von einer unglaublichen Kraft, die in diesem Weg stecken soll.
Also packte ich irgendwann meine Sachen. Ich informierte mich nur am Rande, las ein paar kurze Erfahrungsberichte und dachte: Wie schwer kann das schon sein? Schließlich bin ich fit, laufe gern, habe Abenteuerlust im Blut. Ich ahnte nicht, dass dieser Gedanke der erste große Irrtum war.

14 Kilo unnötiger Ballast

Am Tag des Aufbruchs stand ich da – mit einem Rucksack, der fast so groß war wie ich selbst. 14 Kilogramm hatte ich hineingestopft. Dinge, die ich sicherlich brauchen würde: drei Paar Schuhe, jede Menge Klamotten, ein halbes Drogeriesortiment und ein Stapel „Was-wäre-wenn“-Utensilien. Schon nach wenigen Schritten spürte ich die Last auf meinen Schultern. Es drückte nicht nur auf meinen Rücken, sondern auch auf mein Gemüt.
Die Wahrheit war: Ich war völlig unvorbereitet. Weder hatte ich einen klaren Plan, noch wusste ich, welche Route ich genau einschlagen sollte. Ich stand einfach da – mit meinem riesigen Rucksack und der naiven Vorstellung, dass der Camino mich schon irgendwie tragen würde.

Orientierungslosigkeit

Gleich am ersten Morgen passierte es. Ich lief los, überzeugt, dass ich den Weg schon finden würde. Doch nach ein paar hundert Metern blieb ich stehen. Links? Rechts? Geradeaus? Keine Ahnung. Ich hatte nichts außer meinem Bauchgefühl – und das schickte mich prompt in eine kleine Sackgasse.
Da stand ich also, mit einem völlig überfüllten Rucksack und der Erkenntnis, dass ich nicht mal wusste, wohin ich eigentlich gehen musste. Der erste Tag, und schon war ich am Limit. Ich spürte, wie sich ein Knoten in meinem Bauch zusammenzog. Hatte ich einen Fehler gemacht?

Die erste Begegnung – ein Thailänder im Morgengrauen

Und dann geschah das, wovon man immer wieder hört, wenn es um den Jakobsweg geht: Jede Begegnung hat ihre Aufgabe.
Ein Mann trat auf mich zu. Er kam aus Thailand, wirkte gelassen, fast so, als wäre er schon ewig auf diesem Weg. In gebrochenem Englisch fragte er, ob ich den Camino gehen würde. Ich nickte unsicher, wahrscheinlich sah man mir meine Hilflosigkeit an.
Er lächelte, zeigte mit der Hand auf ein gelbes Zeichen an einem Stein – eine Jakobsmuschel. Dann erklärte er mir, wie diese Symbole überall entlang des Weges auftauchen, manchmal auf Schildern, manchmal auf Bäumen oder Mauern. „Follow the shells“, sagte er, „and you will never be lost.“
Gerade als er fertig war, nickte er mir freundlich zu, wandte sich ab – und verschwand. Einfach so. Ich stand da, völlig überwältigt, mit Tränen in den Augen. Das war der Moment, in dem mir klar wurde: Ich bin nicht allein. Dieser Weg hatte mich aufgenommen.

Der erste Schritt in eine andere Welt

Von da an begann etwas Neues. Jeder Schritt fühlte sich bedeutungsvoll an. Der schwere Rucksack lastete zwar auf meinen Schultern, aber in meinem Herzen war eine Art Leichtigkeit. Ich hatte eine Richtung. Ich hatte ein Zeichen. Und ich hatte das Gefühl, dass dieser Weg mir etwas lehren wollte.
Doch gleichzeitig war da auch die bittere Realität: Jeder Kilometer schien länger zu dauern als gedacht, jeder Hügel fraß meine Kraft, und meine Knie meldeten sich schon nach wenigen Tagen. 14 Kilo sind kein Spaß, wenn man sie stundenlang trägt. Manchmal blieb ich einfach stehen, um Luft zu holen, manchmal setzte ich mich am Wegrand nieder und fragte mich, ob ich überhaupt ankommen würde.

Zwischen Zweifel und Hoffnung

Es war ein ständiger Wechsel: mal war ich voller Euphorie, mal am Boden zerstört. Aber genau das machte den Camino aus. Er ließ keine Masken zu. Man konnte sich nicht hinter Terminen, Bildschirmen oder Ausreden verstecken. Alles, was man war, alles, was man trug – innerlich wie äußerlich – legte sich offen vor einem aus.
Und während ich mit meinem Rucksack kämpfte, wusste ich tief in mir: Dieser Weg ist mehr als nur eine Wanderung. Er ist ein Spiegel. Ein Spiegel meiner Überforderung, meiner Sehnsucht, meiner Zweifel – und meiner Kraft, die ich vielleicht erst noch entdecken musste.

 

Der Abend des ersten Tages

Als ich abends in meiner ersten Herberge ankam, war ich völlig erschöpft. Meine Schultern brannten, meine Füße pochten, und ich schwitzte, als hätte ich gerade einen Marathon hinter mir. Aber als ich dort auf einer schlichten Pritsche lag, von fremden Stimmen umgeben, die ebenso müde und ehrlich klangen wie meine, überkam mich ein Gefühl von Zugehörigkeit.
Ich hatte keine Ahnung, wie ich die nächsten Tage überstehen sollte. Aber ich wusste: Ich war genau da, wo ich sein musste.

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