
Grenzlinien – Von Ljubljana nach Bosovizza

mit dem Rad nach Kroatien
Ort – Datum – #00
Grenzlinien – Von Ljubljana nach Bosovizza
Längste Strecke, zwei Bergpässe, brennende Bremsen und Pizza zum Trost.
Ein Morgen voller Zweifel
Als ich an diesem Morgen in Ljubljana aufwache, merke ich sofort: Heute könnte ein Ruhetag nicht schaden. Meine Beine fühlen sich an wie Gummi, jeder Muskel macht sich bemerkbar, und selbst beim Aufstehen knarzt es irgendwo. Aber genau an diesem Tag liegt die längste Etappe vor mir. Zwei Mal muss ich über die 1000-Meter-Marke radeln. Kein Ruhetag, kein Aufschub. Nur ich, mein Rad und zwei Berge, die größer wirken, je länger ich darüber nachdenke.
Die ersten 20 Kilometer rollen erstaunlich gut. Es geht entlang einer Bundesstraße, unspektakulär, aber flüssig zu fahren. Der Verkehr rauscht vorbei, nicht bedrohlich, aber auch nicht gemütlich. In der Ferne sehe ich die Berge, sie stehen einfach da, imposant, ruhig und voller Kraft. In diesem Moment denke ich nicht daran, was noch alles vor mir liegt, vielmehr genieße ich fast, dass es gerade keine großen Abenteuer gibt – nach den letzten Tagen voller Offroad-Schlachten tut Normalität richtig gut.
Ich halte an einem kleinen Café, gönne mir einen Cappuccino und ein Wasser. Ein kurzer Moment, in dem ich Kraft tanke und einfach das Leben genieße. Auch wenn noch viel vor mir liegt, beruhigt der Cappuccino und lässt mich das noch vor mir liegende vergessen. Ich nehme den letzten Schluck, setze den Helm wieder auf und sage mir: „Na gut, weiter geht’s.“
Zwischen Angst und Asphalt
Doch schnell zeigt sich: Der heutige Tag wird kein Spaziergang. Hauptstraßen ohne Randstreifen, hupende Autofahrer, überholende LKW, die gefühlt so nah kommen, dass ich den Lack riechen kann. Straßen, bei denen ich mich frage, ob Fahrräder hier überhaupt erlaubt sind. Und dann die Steigungen – 15 bis 17 Prozent, als hätte jemand die Straße senkrecht an den Hang geklebt.
Mein Rad fängt plötzlich an, seltsame Geräusche im Antrieb zu machen. Ich horche jedes Mal auf: ein Knacken, ein Schleifen, ein Rattern. Vielleicht geht es gleich weg, denke ich mir. Spoiler: tut es nicht. Stattdessen begleitet es mich wie ein kleiner Störenfried, der ständig hinter meinem Rücken tuschelt. 🫣
Die Hitze macht es nicht leichter. 27 Grad, Sonne von oben, kein Schatten in Sicht. Jeder Tropfen Schweiß fühlt sich an, als würde er mir die Energie aussaugen. Ich merke, wie ich langsamer werde, wie die Kraft verschwindet. Und dann kommt wieder der Gedanke: meine Bremse. Bergab wage ich es nicht, schneller als 40 km/h zu fahren. Meistens bremse ich schon bei 35 km/h auf 25 km/h runter. Das Ergebnis: Bremsgeruch. Verbranntes Material, ein Geruch, der mich daran erinnert, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis auch die Vorderbremse aufgibt. Mir wird bewusst, ich muss hier etwas tun, ich werde sonst mein Ziel nicht erreichen.
Ich schiebe. Immer wieder. Bergauf sowieso, bergab, wenn es zu steil wird. Lieber zu Fuß als im Krankenhaus. Die Dorfbewohner schauen mich an, als sei ich ein wenig verrückt. Wahrscheinlich haben sie recht. Zwischendurch fahre ich immer wieder über Waldwege uns sehe wunderschöne Orte. Orte die mitten im Wald liegen, einsam sind aber auch Orte in denen ich gelassene Menschen beim Kaffeetrinken treffe. Ich fahre an Lost Places vorbei und denke darüber nach, wie es hier wohl früher mal war, sehe aber auch mitten in der Einsamkeit eine Bahnstrecke, über die ich rüber muss. Ich komme zur Ruhe, bin gelassen und das obwohl ich noch bis zum Abend auf dem Rad sitzen werde. Meine Sorgen, dass ich noch über 100 km vor mir habe und es schon Mittag ist verfliegen auf dem Trail.
Bahnübergang mitten im Wald
Nahe Italien
Die Grenze nach Italien
Nach Stunden, die sich wie eine Ewigkeit anfühlen, erreiche ich die Grenze. Ein kleines Schild, eine unscheinbare Schranke, eine Kontrollzone, die niemanden zu interessieren scheint. Kein großes Tamtam – einfach nur der Moment, in dem ich von Slowenien nach Italien rolle. Ich halte kurz an, atme tief durch. Ich habe es geschafft. Der schwerste Teil liegt hinter mir.
Nur wenige Kilometer später erreiche ich Bosovizza, ein kleines Dorf kurz vor Triest, das mein heutiges Ziel ist. Es ist erst 16:30 Uhr. Das Dorf selbst ist gemütlich, ein Tante Emma Laden, ein Eiscafe und eine Aphoteke. Mehr sehe ich auf den ersten Blick nicht. In der Unterkunft, heute, eine Art Hostel mit Mehrbettzimmer, frage ich nach einer Fahrradwerkstatt. Ich habe insgeheim nicht die Hoffnung, eine positive Antwort zu bekommen. Aber der Betreiber lächelte mich an, telefoniert kurz auf italienisch und beschreibt mir den Weg zu seinem Verwandten, der eine Fahrradwerkstatt betreibt. Mein Herz macht einen Sprung – vielleicht rette ich heute meine Bremsen!
Die Werkstatt ist gleich eine Querstrasse weiter. Doch dann der Dämpfer: Der Mechaniker ist im Urlaub. Ich sehe mein Rad, sehe die Bremse und spüre, wie sich eine Mischung aus Frust und Panik breitmacht. Ohne funktionierende Bremse kann ich nicht weiter. Ich flehe den Mann, der die Werkstatt offenhält, fast an: „Bitte, nur die Bremsbeläge. Ich kann es selbst einbauen, lassen Sie mich nur rein.“
Er sieht mich an, überlegt – und nickt schließlich. Er sagt, dass er es bis morgen irgendwie hinbekommt. Ich könnte ihn umarmen. Ein riesiger Stein fällt mir vom Herzen. Glück gehabt! ☺️ Alles andere kann er heute nicht mehr reparieren, weder den Antrieb, noch die Gurte vom Gepäck. Eine Ersatztasche hat er auch nicht da. Ich vereinbare mit ihm, dass ich mein Rad morgen wieder bei ihm abhole.
Pizza, Eis und eine stille Freude
Die Unterkunft ist eine Mischung aus Labyrinth und Kuschelhöhle: verwinkelt, viel Holz, ein riesiges Zimmer, das fast zu groß wirkt nach all den kleinen Pensionen. Direkt nebenan eine hauseigene Pizzeria. Der Hostelbetreiber ist scheinbar auch Pizzabäcker. Ich brauche nicht lange zu überlegen. Eine echte italienische Pizza – das allein ist schon Motivation genug gewesen, bis hierher zu fahren. Etwas skeptisch über den Doppelberuf des Betreibers bin ich aufgrund meiner schlechten Erfahrungen aus den letzten drei Tagen Abendessen schon. Aber mehr gibt es in diesem Dorf nicht.
Die Pizza war der Hammer: dünner Boden, frische Zutaten, ein Geschmack, der alles andere vergessen lässt. Ich hab mich in die 4 Käsepizza verliebt. Dazu ein italienisches Eis – cremig, süß, perfekt. Ich schließe die Augen, lache innerlich und denke: „Dafür lohnt sich alles.“ 🍕🍦 Insgeheim beschließe ich, wenn ich wieder zuhause bin, schaffe ich mir ein Pizzaofen an und backe mir regelmäßig eine eigene Pizza.
Im Ort selbst kann ich heute nichts mehr machen. Nicht einmal Menschen sind auf der Straße. Aber das ist mir heute egal. Ich bin erschöpft, mein Körper schreit nach Ruhe. Ich spaziere ein wenig, genieße die die Sonne, lasse die Gedanken treiben. Ich habe ein Buch. mitgenommen und lese es weiter. Es handelt von einem Busfahrer, der sein Leben komplett über Kopf schmeißt und ein anderen Weg einschlägt. Aufmal eine unerwartete Nachricht von einer guten Freundin. Sie versüßt mir zusätzlich den Abend. Wir schreiben, ich lache, und für einen Moment vergesse ich alle Anstrengungen.
Welcome Italia
📸 Tourbilder
🚴♀️ Der Radfahrer
Überschrift
Der Radfahrer startet in den Tag mit müden Beinen, die noch die letzten Etappen spüren. Vor ihm liegt die längste Strecke – zwei Mal über 1000 Höhenmeter. Allein der Gedanke daran lässt die Muskeln schwer wirken. Und doch ist er erstaunlich ruhig. Denn er weiß: Jeder Tritt, so schmerzhaft er sein mag, bringt ihn weiter.
Sein rotes MTB trägt die Spuren der vergangenen Tage. Die Kette springt nicht mehr so sauber, sie klackt im Rhythmus wie ein Herzschlag. Das Gepäck ächzt leise bei jedem Stoß, und doch rollt das Rad zuverlässig weiter. Er hört das Knacken im Lenker, das kurze Schleifen der kaputten Bremsbeläge, das Singen der Reifen, wenn sie über groben Asphalt huschen. Kleine Zeichen, dass auch sein Rad Narben hat – genau wie er. Und trotzdem: Gerade jetzt fühlt er sich mit seinem Rad untrennbar verbunden. Beide angeschlagen, beide kämpfend, beide stark. Und beide sind zuversichtlich, sie werden es schaffen, hier und auch zuhause.
Während er die langen Steigungen hinaufklettert, denkt er über vieles nach. Wird er heute wieder Burger zum Essen kriegen aber auch über Dinge, die er ändern möchte, Entscheidungen, die vielleicht anstehen sowohl beruflich als auch privat. Doch heute sind sie leiser. Heute überwiegt die Kraft der Berge, die ihn tragen, statt ihn zu erdrücken.
Und plötzlich ist da ein Bild in ihm, so zart wie der Wind selbst: eine Pusteblume. Keine am Wegesrand, sondern eine Erinnerung, ein Gedanke, den er nicht loslässt. Zerbrechlich, schwebend, doch voller Hoffnung. Er hält sie fest in seiner Vorstellung, als Zeichen dafür, dass manches bleibt, auch wenn es vom Wind verweht scheint.
Die Straße zieht sich endlos, Schweiß rinnt von seiner Stirn. Und doch – er lächelt. Die Höhenmeter, die ihn sonst zermürben würden, geben ihm heute Kraft. Er fühlt sich frei, getragen, fast schwerelos. Es ist, als ob der Weg ihn nicht bricht, sondern neu formt. Er freut sich auf Italien. Weniger wegen dem Land sondern weil es ein weiteres Ziel ist, was er erfolgreich erreicht hat. Und auch wenn nicht immer alles so läuft wie er sich das vorstellt, öffnen sich immer wieder kleiner Türen, durch di er gehen kann. Manchmal ist es eine Reise und manchmal ist es eine gefundene Fahrradwerkstatt, genau zur richtigen Zeit.
Als er am Abends sein Rad abstellt, über den abgenutzten Rahmen streicht und die Wärme des Metalls spürt, weiß er: Er hat wieder einen Sieg errungen. Nicht über die Straße, nicht über die Höhenmeter – sondern über sich selbst. Die Grübeleien sind verstummt, und was bleibt, ist das Gefühl, im Flow zu sein.
Der Radler ist erschöpft, aber zufrieden. Der Tag war lang, die Höhenmeter unbarmherzig, und doch fühlt er sich gestärkt. Er gönnt sich ein riesiges Eis – Schokolade, Vanille und ein Hauch von Sahne, so groß, dass es kaum in die Schale passt. Mit jedem Löffel spürt er, wie sich Anstrengung in Glück verwandelt. Sein Rad, denkt er, hat diese Belohnung genauso verdient. Und so beschließt er, ihm bald neue Bremsen zu schenken – frische Kraft für ihren gemeinsamen Weg.
Später, als der Abend sanft in die Nacht übergeht, meldet sich plötzlich eine alte Freundin. Unerwartet, wie ein Licht, das in der Dämmerung aufflammt. Sie schreiben lange, lachen und erinnern sich. Es ist, als ob der Tag nicht nur eine Etappe, sondern ein kleiner Neubeginn war.
Der Radfahrer lehnt sich zurück, heute war mehr als nur eine Tour. Heute war ein Geschenk – an ihn, an sein Rad, und vielleicht auch an die Zukunft. Mit einem Lächeln schließt er die Augen. Morgen wartet der nächste Weg.
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